Ahankara im Duell gegen Ahankara

von Satyanarayana Dasa

Es gibt 24 Entwicklungsformen von Prakṛti. Das Ahaṅkāra (Egoismus) wird an zweiter Stelle erwähnt. Obwohl es an zweiter Stelle steht, ist es der Boss und herrscht über alle anderen. Ohne Ahaṅkāra geht gar nichts. Alle Emotionen finden darin ihre Stärke. Ohne das Ahaṅkāra können wir nicht einmal wütend werden. Es ist der Kern der Bindung an das Materielle. Aus diesem Grund lehrt Śrī Kṛṣṇa, dass nur diejenigen Befreiung erlangen können, die sich vom Ahaṅkāra befreien (Gītā 18.53): „Wer das Ahaṅkāra, die Triebkraft von materiellen Wünschen, Hochmut, Verlangen nach Sinnesfreuden, Zorn, Besitz sowie die Vorstellung von Eigentum aufgibt und in innerer Gelassenheit ruht, wird befähigt, Brahman zu verwirklichen.“ Unser Handeln wird vom Ahaṅkāra bestimmt. Um dies zu veranschaulichen, beziehe ich mich auf die Geschichte von König Yayāti und seinen beiden Ehefrauen. Sie ist im neunten Canto des 18. Kapitels des Bhāgavata beschrieben.

König Nahūṣa hatte sechs Söhne, von denen Yayāti der Zweitgeborene war. Yayāti wurde König, weil sein älterer Bruder Yati das Königreich nicht regieren wollte. Yayāti heiratete Devayānī, Śukrācāryas Tochter, nachdem er sie aus einem Brunnen in einem Wald gerettet hatte. Wie kam es, dass Devayānī sich am Boden eines Brunnens befand? Welche Ereignisse führten zu dieser Ehe zwischen einem Kṣatriya und einer Brahmanin, die gegen die Prinzipien von Smṛti verstößt? Dies ist die Geschichte:

Die Verwechslung der Kleider

Vṛṣaparvā war der König der Asuras und Dāityas, und Śukracārya war ihr Guru. Seine Tochter Śarmiṣṭhā war eine sehr gute Freundin von Devayānī, der Tochter von Śukracārya. Eines Tages gingen die Mädchen zusammen mit ihren Freundinnen zum Spielen in einen schönen Garten außerhalb der Stadt. Sie spielten neben einem See mit Lotusblumen. Bienen schwirrten summend umher. Nachdem sie einige Zeit am Ufer des Sees gespielt hatten, war ihnen heiß, und im Sommer ist es am angenehmsten, zur Abkühlung in einen See oder Pool zu springen. Da keine Männer in der Nähe waren und Badeanzüge noch nicht erfunden waren, gingen sie nackt ins Wasser. Sie spielten und bespritzten sich gegenseitig. Plötzlich sahen die jungen Mädchen Bhagavān Śiva zusammen mit Pārvatī auf seinem Stier reitend auf sie zukommen. Peinlich berührt eilten die Mädchen aus dem Wasser, um sich schnell anzukleiden.

Brahmanen besitzen gewöhnlich wenig Reichtum, doch wenn König Vṛṣaparvā etwas für Śarmiṣṭhā kaufte, kaufte er dasselbe auch für Devayānī. Er behandelte sie wie seine eigene Tochter. Da Devayānī und Śarmiṣṭhā ähnliche Kleider trugen, konnten die Mädchen sie verwechseln. Śarmiṣṭhā kam zuerst aus dem Wasser und zog versehentlich das Kleid von Devayānī, einer Brahmanin an. Als Devayānī dies sah, wurde sie sofort wütend auf Śarmiṣṭhā. Ihr Ahaṅkāra konnte es nicht ertragen, dass sich ein Kṣatriya-Mädchen mit dem Kleid einer Brahmanin schmückte. Dies ist materialistische Freundschaft. Sie kann schnell in Feindseligkeit umschlagen, wenn das eigene Ahaṅkāra verletzt wird. Genau das kommt hier zum Ausdruck. Die wahre Natur einer Freundschaft zeigt sich in der Not. Manchmal kehren uns die sogenannten Freunde den Rücken und verweigern jede Anerkennung und Unterstützung.


Demonstration von Überlegenheit

Nur wegen einer solchen Kleinigkeit wurde Devayānī wütend und schrie Śarmiṣṭhā an: „Warum hast du mein Kleid angezogen?“ Sie hätte sagen können: „Oh, wir waren in Eile. Bitte gib mir mein Kleid zurück.“ Doch Devayānīs Ahaṅkāra kochte vor Wut. Sie verspottete Śarmiṣṭhā: „Wie kannst du es wagen, mein Kleid anzuziehen! Weißt du nicht, dass ich Śukracāryas Tochter bin?“ Der Kampf findet immer zwischen zwei Ahaṅkāras statt. Devayānī besaß das Ahaṅkāra, die Tochter des Guru zu sein. Sie wurde selbst vom König als solche respektiert. In Śāstra heißt es, dass man die Frau, den Sohn und die Tochter des Guru genauso respektieren sollte, wie den Guru selbst. Vṛṣaparvā befolgte dieses Protokoll, und auch Śarmiṣṭhā war Devayānī gegenüber respektvoll, solange ihre Ehre nicht auf dem Spiel stand.

Wut ist Zündstoff für das Ahaṅkāra. Werden wir wütend, so verlieren wir unser Unterscheidungsvermögen. Das ist das Wesen des Ahaṅkāra: Es flammt auf, wenn es dem Ahaṅkāra eines Gegners begegnet. Auf diese Weise kommt uns unsere Toleranz abhanden. Ahaṅkāra und Toleranz schließen sich gegenseitig aus. So gerieten die Mädchen in einen Streit, widersprachen sich gegenseitig und beschimpften einander. Es glich einem Pingpong-Spiel mit unablässigem schnellem Ballwechsel. Um ihre Überlegenheit zu demonstrieren, beleidigte Devayānī Śarmiṣṭhā weiter. Sie verglich Śarmiṣṭhā mit einer Hündin, die das für die Devas bestimmte Ghee aus dem Bereich der Opferdarbietung stiehlt. In diesem Wortwechsel vergleicht sich Devayānī mit einer Devi, da ihr Name Devayānī ist, und Śarmiṣṭhā mit einer Hündin, die ihr Kleid stiehlt. Es heißt, dass die persönlichen Gegenstände des Guru nicht für den Eigengebrauch bestimmt sind, und Devayānī ist Guru-Putrī, die Tochter des Guru. Ihr Kleid anzuziehen ist eine Beleidigung gegenüber Śukracārya selbst.

Hochmut führt zu weiteren Beleidigungen

Devayānī spricht anschließend über ihre gesamte Traditionslinie: „Weißt du eigentlich, wer die Brahmanen sind? Selbst Bhagavān Kṛṣṇa betrachtet die Brahmanen als verehrungswürdig. Obwohl Er Deva-Deva ist, respektiert Er die Brahmanen.“ Devayānīs Logik zufolge hat Śarmiṣṭhā also ein schweres Vergehen begangen. Devayānī hat das Ahaṅkāra einer Brahmanin, wobei ihr jedoch die entsprechenden Eigenschaften fehlen. Das ist Identifikation. Nun ist sie aber nicht einfach nur Devayānī, Śukracāryas Tochters, sie ist seine leibliche Tochter. Devayānī stellt ihre Größe zur Schau, indem sie sich darauf beruft, einer brahmanischen Ahnenreihe zu entstammen. Brahmanen zeichnen sich durch Enthaltsamkeit, Wissen, Toleranz und Demut aus. Es ist jedoch eines Brahmanen nicht würdig, sich auf diese Weise aus der Fassung bringen zu lassen. Die Größe eines Brahmanen besteht darin, die Menschheit auf dem Pfad der Veden zu unterweisen. Devayānī sollte sich angemessen verhalten, wie eine Brahmanin. Ihr Verhalten veranschaulicht, wie Menschen ohne innere Qualifikation ihre Abstammung und Herkunft zu ihrem Vorteil ausnutzen können.

Und nicht zuletzt fügte Devayānī hinzu: „Wir entstammen der Bhṛgu-Dynastie. Bhṛgu ist der Sohn von Brahma. Bhṛgu war so mächtig, dass er Viṣṇu gegen die Brust trat. Hat dies sonst noch jemand gemacht?“ So baut sich der Stolz auf die eigene Traditionslinie auf. Sie fuhr fort: „Wer ist diese Śarmiṣṭhā? Sie ist die Tochter des Schülers meines Vaters. Sie ist ein Niemand. Sie ist eine Asurī.“ Devayānī beendete ihre Beleidigung mit Nachdruck: „Seht euch nur das unangemessene Verhalten dieses Dienstmädchens an.“ Eine Prinzessin als Dienstmädchen zu bezeichnen, ist eine große Beleidigung.

Emotionen sind ansteckend

Kommt es während eines Kampfes nicht zu einer Reaktion des Gegners, gibt es auch kein Rasa. Wird der Kampfgeist erwidert, zeigt sich das Vīra-Rasa.  Śarmiṣṭhā konnte die Beschimpfungen von Devayānī nicht ertragen. Der menschliche Geist wird von den Emotionen eines anderen Menschen auf ähnliche Weise beeinflusst. Sehen wir jemanden lachen, müssen wir ebenfalls lachen. Sehen wir jemanden weinen, ist uns auch zum Weinen zumute. Sehen wir jemanden in einer wütenden Stimmung, kommt unser Ärger auf. Der Mensch hat die Eigenschaft, die Emotionen eines anderen zu spiegeln. Untersuchungen zeigen, dass Emotionen ansteckend sind. Die Spiegelneuronen des Gehirns senden Signale aus, was dazu führt, dass wir die gleichen Emotionen empfinden, wie die Person, die wir beobachten – ob wir wollen oder nicht. Interessanterweise werden Spiegelneuronen aktiviert, unabhängig davon, ob wir eine Handlung ausführen oder, ob wir jemandem beim Ausführen einer Handlung zusehen. Folglich spiegeln sich die Gefühle eines anderen in unserem Gehirn wider. Wir können diesen Prozess nicht kontrollieren. Er setzt unser Denken außer Kraft und entfaltet sich eigenständig. Werde also nicht wütend, wenn du die Wut deines Gegenübers vermeiden möchtest. Handle auf genau diese Weise. Wirst du wütend, kannst du sicher sein, dass dir Zorn entgegenschlägt. Brahmanen sollten da toleranter sein.

Śarmiṣṭhā war jedoch eine Königstochter, sie war kein gewöhnliches Mädchen. Sie war stolz darauf, eine Prinzessin zu sein und wurde von allen respektiert. Beleidigt und schwer atmend vor Wut, wird Śarmiṣṭhā hier mit einer Schlange verglichen, der man auf den Schwanz getreten ist. Die Schlange ist ihrem Wesen nach zornig. Śarmiṣṭhā war so wütend, dass sie sich auf die Lippen biss. Nun rächt sie sich und spricht Worte, die jenen Devayānīs an Schärfe überlegen sind. Andernfalls gibt es kein Duell. Sie antwortet: „Was prahlst du, Bettlerin? Dein Vater steht wie eine Krähe vor dem Tor meines Vaters und bettelt um Brotkrümel. Ihr habt nichts. Wir versorgen euch mit Essen. Wir hingegen genießen Ehre, Reichtum und Ansehen. Was habt ihr? Selbst dieses Kleid wurde dir von meinem Vater geschenkt.“ In der Ordnung des Varṇāśrama war es üblich, vor dem Essen Futter für Krähen, Hunde und andere Lebewesen nach draußen zu stellen. Dies im Hinterkopf habend sagte Śarmiṣṭhā: „Ihr bekommt was immer wir euch an abgefallenen Krümeln hinwerfen.“

Die Folgen falscher Entscheidungen

Śarmiṣṭhā war so wütend, dass sie mit ihren verbalen Beschimpfungen nicht aufhörte. Auseinandersetzungen beginnen in der Regel mit verbalen Äußerungen. Eskalieren sie, können sie auch zu Handgreiflichkeiten führen. Śarmiṣṭhā nahm dann Devayānīs Kleider und warf sie in einen Brunnen. Sind wir wütend, denken wir nicht an die Folgen unserer Handlungen. Wir sind in der Lage, alles Erdenkliche zu tun. Aufgrund dieser einen Tat musste Śarmiṣṭhā Devayāni für den Rest ihres Lebens dienen. Eine falsche Handlung oder Entscheidung kann den Lauf des Lebens ändern. Sind wir wütend, so sind wir in der Lage wirklich alles zu tun, ohne an die Folgen zu denken. So gefährlich ist Wut. Diese Geschichte veranschaulicht die Funktionsweise des materiellen Ahaṅkāra.

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    You should have one desire, and that is that you want prema. Then you should work to fulfill that desire, no matter what obstacle comes your way. Stay focused and fixed on this goal. Make this your resolve. Every morning take a deep breath in, and then push all of the air out out of your lungs. And just when you feel like you are about to die, resolve mentally, ‘I want Krishna prema – nothing else.’ Do this five times each morning and also five times at night before sleeping.

    — Babaji Satyanarayana Dasa
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