Die Bhagavad Gītā ist eine Analyse des menschlichen Geistes, der ein äußerst komplexes und unberechenbares Gut ist.
In diesem Universum läuft alles in geordneten Kreisläufen ab. Die Jahreszeiten kommen und gehen. Tage und Nächte kommen und gehen. Es finden Schöpfung und Zerstörung statt. Doch der unbeständigste und daher problematischste Aspekt ist der menschliche Geist. In vielerlei Hinsicht sind wir unser Geist. Je nach Beschaffenheit des Geistes kann ein Mensch zu 5 % Mensch und zu 95 % Tier oder zu 20 % Mensch und zu 80 % Tier sein. Es ist schwer zu sagen, was jemand ist. Eine Person mag wie ein Mensch aussehen, doch was in ihrem Geist vorgeht, ist sehr schwer erkennbar. Ein Hund ist zu 100 % ein Hund. Ein Apfelbaum ist zu 100 % ein Apfelbaum. Auf Menschen trifft diese Logik allerdings nicht zu.
Die Situation ist derzeit besonders kompliziert, da wir nicht einmal eine klare Aussage darüber treffen können, ob jemand ein Mann oder eine Frau ist. Früher gab es diese Unterscheidung. Ein Mann war ein Mann und eine Frau war eine Frau. Im Zuge der fortschreitenden Zivilisation sind unsere Identitäten komplexer geworden. Wir sind uns nicht mehr sicher, welches Pronomen wir für unser Gegenüber verwenden sollten. Unser Geist ist komplexer geworden.
In der Psychologie, der Psychotherapie, der Psychoanalyse, den Neurowissenschaften, der Neurobiologie, usw. wurde bereits sehr viel geforscht. Dennoch ist die Wissenschaft bislang im Hinblick darauf, was der menschliche Geist tatsächlich ist, wie er beherrscht werden kann, wie er funktioniert und welche Kraft ihn funktionieren lässt, zu keinem Ergebnis gekommen. Dieses Wissen wird jedoch sehr schlüssig in der Bhagavad Gītā dargelegt. Sie ist eine Studie des menschlichen Geistes. Die Bhagavad Gītā ist kein gewaltiges Buch. Im Gegensatz zu den sehr umfangreichen Veden, dem Mahābhārata oder dem Rāmāyana, hat die Gītā nur 700 Verse. In ihr findet man sehr wichtige und praktische Unterweisungen. Dieses kompakte Buch behandelt verschiedene Themen. Schauen wir sie uns kurz an.
Der letzte Vers der Bhagavad Gītā besagt:
yatra yogeśvaraḥ krsno yatra pārthodhanur-dharaḥ
tatra śrīr vijayo bhūtir dhruvā nītir matir mama
„Wo immer Śrī Kṛṣṇa, der Meister des Yoga, und Arjuna, der Bogenschütze, sind, finden sich gewiss Reichtum, Erfolg, Wohlstand und Staatskunst. Hiervon bin ich überzeugt.“
Der Vers ist sehr simpel, hat jedoch eine tiefgründige Bedeutung.
Wir streben nach Schönheit, Reichtum und Macht. Wir streben nach Liebe und Erfolg. Wir streben nach Tugendhaftigkeit. Um diese erstrebenswerten Werte zu erlangen, benötigen wir zwei Dinge. Erstens: Wir müssen zum Pārtha, zum Dhanurdhara werden. Dies sind beides Namen von Arjuna, die in diesem Vers vorkommen. Zweitens: Wir brauchen Yogeśvara Kṛṣṇa.
Arjunas Mutter hieß Pṛthā. Deshalb heißt er Pārtha, was „der Sohn von Pṛthā“ bedeutet. Pārtha hat jedoch auch noch eine andere Bedeutung. Der Name beschreibt eine aufrichtige Person, die einen gewissen Wert hat. Anders ausgedrückt, beschreibt der Name jemanden, der qualifiziert ist.
Das Wort „apārtha“ bedeutet „nutzlos“. „Pārtha“ bedeutet somit das Gegenteil: jemand, der eine wertvolle Qualifikation hat. Das Wort „pārtha“ bezeichnet also eine Person, die in ihrem Leben eine Qualifikation erlangt hat. Wollen wir erfolgreich sein, so müssen wir arbeiten und uns weiterbilden. Andere Lebewesen, wie Tiere und Vögel, wissen instinktiv, wie sie überleben können. Sie müssen weder zur Schule gehen noch eine Ausbildung absolvieren. Wird ein Mensch geboren, ist er ganz und gar auf Hilfe angewiesen. Er muss alles erlernen, selbst wie man auf die Toilette geht.
Wir haben Potenzial und wir müssen lernen, dieses Potenzial zu entwickeln und zu nutzen. Daher sollten wir versuchen, uns zu bilden, zu qualifizieren (pārtha). Qualifizieren bedeutet nicht nur, im Internet frei verfügbare Informationen zusammenzutragen. Informationen dieser Art sind auch notwendig, doch die wichtigste Bildung ist die Charakterbildung. Das ist wirkliche Bildung. Diese Art von Bildung sollte jeder zuerst erwerben, noch vor der fachlichen Bildung. Dies wird durch das Wort „pārtha“ impliziert.
Allein der Mensch hat die Fähigkeit, sich Bildung anzueignen und Wissen zu übermitteln. Er kann Fortschritte machen, da er lernen und Wissen weitergeben kann. Andere Lebewesen tun Dinge immer auf die gleiche Weise, wie eh und je. Hunde leben noch immer auf die gleiche Weise wie vor 1.000 Jahren. Sie fressen auf dieselbe Art und Weise und machen keine Fortschritte. Die Menschen entwickeln sich jedoch aufgrund ihres erworbenen und weitergegeben Wissens weiter. Bei der wichtigsten Wissensart geht es jedoch nicht um unseren Lebensstil. Es geht um unser eigenes Leben, um das Selbst, um den Charakter und um den Zweck unserer Existenz. Diese Wissensart muss erworben und diese Art der Charakterbildung muss vollzogen werden.
Der andere Name Arjunas ist „Dhanurdhara“, „jener, der einen Bogen führt“. Ein Bogen steht für Fleiß und harte Arbeit. Daraus folgt, dass wir uns bemühen müssen. Es ist keineswegs der Art, dass wir nach dem Erwerb von Wissen nur noch still dasitzen brauchen, und die Dinge geschehen von selbst. Zur Erreichung unseres Ziels müssen wir uns qualifizieren und bemühen. Arjuna repräsentiert eine Person, die an spirituellem Leben interessiert ist. Er hat sich diesem verschrieben und er hat seinen Lehrer. Die Arbeit muss jedoch von Arjuna selbst erledigt werden. Jeder einzelne muss seine Sādhana (spirituelle Praxis) ausüben, was Einsatz und Bemühen erfordert.
Der nächste bedeutsame Ausdruck ist „Yogeśvara-Kṛṣṇa“ – yatra yogeśvaraḥ kṛṣṇaḥ. Kṛṣṇa repräsentiert sowohl den Guru als auch Gott. Selbst wenn wir qualifiziert sind und uns bemühen, brauchen wir dennoch Führung in schwierigen Situationen und daher Gott in unserem Leben. Arjuna ist nicht nur sehr qualifiziert und dazu bereit zu kämpfen, bzw. zu arbeiten, er wird zudem auch von Bhagavān geführt. Es ist Kṛṣṇa, der den Wagen lenkt. Dies bedeutet, dass wir in unserem Leben eine gewisse Führung benötigen. Diese ist sowohl für materiellen als auch für spirituellen Erfolg erforderlich. Niemand kann ohne fremde Hilfe erleuchtet werden. Wir kommen nicht mit Kenntnissen auf die Welt. Wir alle brauchen Führung. Hierfür steht Arjuna, der auf dem von Kṛṣṇa gelenkten Wagen sitzt.
Einer geschulten, qualifizierten Person mit gutem Charakter, die aufrichtig und fleißig ist, sich auch Bhagavān widmet und die Schriften genau befolgt, ist der Erfolg im Leben gewiss. So jemand wird Glück, Reichtum, Schönheit, Vergnügen und Freude erfahren. Das ist die tiefere Bedeutung, die den Worten dieses Verses zugrunde liegt.
Die Bhagavad Gītā wurde auf dem Schlachtfeld von Kurukṣetra gesprochen. Dieses liegt etwa 200 Kilometer nördlich von Neu-Delhi. Der Kampf fand zwischen Cousins statt, die sich um Besitz stritten. Bevor die Schlacht begann, versuchten beide Seiten ihre Armeen zu verstärken. Sie wandten sich an verschiedene Könige in Indien mit der Bitte, sie mögen an ihrer Seite kämpfen.
Beide Parteien wandten sich auch an Kṛṣṇa, der in Dvārakā lebte. Duryodhana erreichte als Erster Seine Residenz. Er kam früh am Morgen an. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Kṛṣṇa noch in seinem Schlafgemach und war noch nicht aufgestanden. In Sorge, Arjuna könne als Freund Kṛṣṇas zuerst um dessen Bündnis bitten, begab sich Duryodhana unverzüglich in Kṛṣṇas Schlafgemach und setzte sich neben Sein Haupt.
Nach einiger Zeit kam Arjuna an. Er war überrascht, Duryodhana dort sitzen zu sehen. Arjuna setzte sich neben Kṛṣṇas Füße. In Indien wird das Sitzen in der Nähe der Füße als respektvoll angesehen. Es steht auch für eine demütige Haltung.
Als Kṛṣṇa, der nicht wirklich schlief, bemerkte, dass beide Cousins gekommen waren, setzte Er sich auf. Erwacht man aus dem Schlaf und setzt sich auf, ist es ganz natürlich, in Richtung der eigenen Füßen zu schauen. Als Kṛṣṇa Arjuna dort sitzen sah, fragte Er ihn, wann er gekommen sei. Als Duryodhana dies hörte, war er in Sorge, dass Arjuna Kṛṣṇa zuerst um ein Bündnis bitten könne. Er sagte: „Ich bin auch hier.“ Daraufhin wandte Kṛṣṇa sich Duryodhana zu und begrüßte ihn.
Als Kṛṣṇa ihre Absichten Hilfe zu erbitten vernahm, erklärte Er ihnen, Er könne nicht ausschließlich einem von beiden beistehen, da er mit beiden verwandt sei – Seine Schwester war mit Arjuna verheiratet und eine Tochter Duryodhanas mit Seinem Sohn. Kṛṣṇa bot sich selbst und seine Armee an. Welcher Seite Er auch beistehen würde, die Armee würde die Gegenseite unterstützen. Zudem stellte Er eine Bedingung: Er persönlich würde nicht kämpfen.
Duryodhana wollte die erste Wahl haben, um gleich die Armee zu verlangen. Kṛṣṇa bat Arjuna jedoch, als Erster eine Wahl zu treffen. Duryodhana brachte den Einwand, dass er zuerst gekommen sei und ihm daher die erste Wahl zustünde. Kṛṣṇa erwiderte, dass Duryodhana zwar zuerst gekommen sein mag, Er jedoch Arjuna zuerst gesehen habe. Duryodhana folgerte daraus, dass Kṛṣṇa Arjuna bevorzugt. In der Angst, die Armee zu verlieren, pochte Duryodhana auf sein höheres Alter und damit auf das Vorrecht der ersten Wahl. Kṛṣṇa widersprach ihm. Die kleinen Kinder einer Familie werden zuerst versorgt. Sollen Süßigkeiten oder Geschenke verteilt werden, werden sie zuerst den Kindern gereicht, nicht den Erwachsenen.
Dann fragte Kṛṣṇa Arjuna, was er wolle. Arjuna antwortete: „Kṛṣṇa, ich will Dich. Gib die Armee Duryodhana.“ Überrascht fragte Kṛṣṇa: „Warum willst du Mich? Es wird eine Schlacht geben, und Ich werde nicht kämpfen. Es geht nicht um ein Fest, zu dem du Mich einlädst. Du wirst eine Armee brauchen.“ Duryodhana fühlte sich beglückt, da er die Armee bekommen würde und dachte, dass Arjuna töricht sei. Arjuna antwortete: „Mit Dir an meiner Seite, habe ich alles. Bist Du nicht an meiner Seite, habe ich nichts.“
Das ist der Unterschied zwischen einem Materialisten und einem Spiritualisten. Ein Materialist strebt nach Bhagavāns Macht, Reichtum und Kraft, während ein Spiritualist Bhagavān selbst begehrt. Mit Bhagavān an unserer Seite haben wir alles, wonach ein Materialist sich sehnt, und noch viel mehr. Daher benötigt ein Spiritualist nichts Weiteres. Darin liegt die Bedeutung der Worte: yatra yogeśvaraḥ krsno yatra pārtho dhanur-dharah. Wo immer Arjuna ist, da ist auch Kṛṣṇa.
So sollte unser Leben sein. Wir sollten hart arbeiten, uns qualifizieren, Bildung erlangen und mit Gott sein. Entscheiden wir uns, Gottes Anweisungen und den von Ihm aufgestellten Grundsätzen zu folgen, so sind wir mit Gott. Dann ist unser Leben erfolgreich.
Dies ist der Unterschied zwischen Arjuna, einem Spiritualisten, und Duryodhana, einem Materialisten. Duryodhana besaß zwar eine riesige Armee, die mit elf Akṣauhiṇīs mehr als anderthalb Mal so groß war wie Arjunas Heer von sieben Akṣauhiṇīs, doch Arjuna ging als Sieger hervor. Duryodhana hatte alle großen Krieger auf seiner Seite: den unbesiegbaren Bhīṣma, seinen eigenen Lehrer und hervorragenden Kämpfer Droṇa, Karṇa, Duḥśāsana und viele andere große Helden. Arjuna siegte nur, weil er Kṛṣṇa auf seiner Seite hatte.
Tauche ein in die zeitlose Weisheit der Bhagavad Gītā in unserem sonntäglichen Livestream über Zoom um 10:30 Uhr indischer Standardzeit. Babaji Satyanarayana Dasa unterrichtet auf Hindi, während simultan ins Englische und Spanische übersetzt wird. https://bit.ly/JivaVedicInstituteBGWebinar
info@german.jiva.org for inquiries about Jiva Institute and guesthouse bookings
For website question please use our contact-form»
380 Sheetal Chaya
Raman Reti, Vrindavan
UP 281121, India
© 2017 JIVA.ORG. All rights reserved.