Das Wort Bhakti leitet sich von der Wurzel „bhaj“ ab, „Dienst leisten“. Das wesentliche Merkmal von Bhakti ist der Dienst an Bhagavān, der die vollständige Unterwerfung von Körper, Geist und Sprache bedeutet. In Bhakti-Sandarbha zeigt Jīva Gosvāmī in seiner Analyse des Śrīmad Bhāgavatam, dass man durch Bhakti die Höchste Wirklichkeit erfährt.
Jīva Gosvāmī erklärt, dass die Absolute Realität drei Energien hat – eine innere, eine äußere (Māyā) und eine dazwischenliegende (intermediäre). Bhakti ist die innere Energie Bhagavāns und ist sowohl der äußeren als auch der intermediären Energie überlegen. Die äußere Kraft kann ihren Einfluss auf Lebewesen (Jīvas) ausüben, nicht aber auf die innere Energie. Deshalb kann ein Jīva nur dann aus den Fängen von Māyā befreit werden, wenn es mit der inneren Energie aufgeladen wird. Handlung (Karma) und Wissen (Jñāna) sind beides Produkte der materiellen Natur und daher nicht in der Lage, die Probleme der Jīvas zu lösen. Karma bedeutet, den in den Schriften vorgeschriebenen Pflichten zu folgen, die entweder materiell motiviert oder selbstlos erfüllt werden können. Jñāna bedeutet das Wissen um die Unterscheidung zwischen Geist und Materie zu kultivieren. Karma kann einen, sorgfältig ausführt, in den Himmel führen. Dort genießt man das Leben so lange, bis die Wirkung des guten Karmas erschöpft ist und man erneut geboren werden muss. Daher kann Karma nicht zur Gottesverwirklichung führen. Warum schreiben die Veden dann Karma vor? Für diejenigen, die eine starke Anhaftung an die Früchte ihres Handelns haben, ist es ein allmählicher Prozess. Wenn man ohne materielle Motive Karma ausübt, führt dies zu Loslösung. In diesem Fall wird Karma zu einer Stufe hin zum Pfad des Jñāna.
Bhakti kann von allen Menschen, zu jeder Zeit, an jedem Ort und unter jedwelchen Bedingungen ausgeführt werden. Das unterscheidet Bhakti vom Vorgang des Karma, Jñāna und Yoga, die Einschränkungen unterliegen. Bhakti ist, wie Bhagavān selbst, höchst unabhängig. Wenn man Bhakti hat, folgen Wissen und Loslösung als Begleiterscheinungen.
Ein weiteres Merkmal von Bhakti ist, dass sie nicht nur ein Mittel zum Zweck ist, sondern auch nach dem Erlangen von Vollkommenheit fortbesteht. So üben sich selbst befreite Seelen in Hingabe. Im Gegensatz zu Jñāna und Yoga gibt man die Hingabe nicht auf, nachdem man Vollkommenheit erlangt hat. Vielmehr übt man sie noch sorgfältiger und ohne jedes Motiv aus. Bhakti ist nicht eingeschränkt bzw. apratihatā, weil sie jenseits des Konzepts von materiellem Vergnügen und Leid liegt. Im Gegensatz zu Karma und Jñāna macht Bhakti bereits während ihrer Ausführung freudvoll; sie schenkt höchste Glückseligkeit.
Bhakti ist die Hlādinī-Shakti, Bhagavāns Freudenkraft, ein Aspekt seiner inneren Energie. Es ist diese Hlādinī-Shakti, die sich nicht von Seinem eigenen inneren Sein (Svarūpa) unterscheidet, die Bhagavān den Lebewesen schenkt, um ihnen und sich selbst Freude zu bereiten. Daher kommt die Freude, die Bhagavān erfährt, nicht aus einer äußeren Quelle, sondern geht aus seiner eigenen Svarūpa hervor.
Jīva Gosvāmī erklärt, dass die Gnade Bhagavāns im Allgemeinen nicht direkt von Ihm herabkommt. Der Grund dafür ist, dass Bhagavān niemals von materiellem Elend, einem Produkt der Guṇas der Prakṛti, berührt wird. Folglich wirkt Seine Gnade durch das Medium der vervollkommneten Wesen, die frei vom Einfluss der Guṇas sind und die Gnade Bhagavāns direkt empfangen. Obwohl solche vollendeten Wesen selbst jenseits des materiellen Elends sind, behalten sie die Erinnerung an ihre früheren Leiden, die sie vor dem Empfang der Gnade Bhagavāns erlebt haben.
Dies führt zu dem Grundsatz, dass man insbesondere durch den Umgang mit Sadhus, die die Gnade Bhagavāns erlangt haben, zum Pfad der Bhakti kommt. Bhakti-Heilige sind die Träger der Gnade Bhagavāns in dieser Welt. Je nach Ausmaß und Empfinden von Mitgefühl eines bestimmten Sadhus, kann eine Person durch diesen Umgang Bhakti erlangen. Dies ist aber auch ein allmählicher Prozess. Zuerst erwirbt man durch den Umgang mit einem Sadhu einen Vorgeschmack für das Ziel und die Ausübung von Bhakti. Daraus geht Śraddhā (Glaube, Vertrauen), die Vorstufe zu Bhakti, hervor. Mit Śraddhā nimmt man einen Lehrer durch formale Einweihung an und erhält ein Mantra.
Rūpa Gosvāmī, der Lehrer von Jīva Gosvāmī, unterteilte Bhakti in drei Kategorien: Sādhana, Bhāva und Prema. Sādhana-Bhakti ist das, was durch die Funktion der Sinne erfahren und realisiert wird. Es ist das Praktizieren von Bhakti und ein Mittel zur Erlangung von Bhāva-Bhakti. Sādhana-Bhakti ist jedoch kein Mittel oder Vorgang im gewöhnlichen Sinne. Im Allgemeinen bezieht sich Sādhana auf eine Praxis zur Erreichung eines bestimmten Ziels, bekannt als Sādhya. In diesem üblichen Sinne ist Sādhana lediglich das Mittel, das vorher nicht existierende Ziel, Sādhya, zu erreichen. Sobald Sādhya erreicht ist, wird der unternommene Weg dorthin, Sādhana, hinfällig. Bhakti ist jedoch nicht Sādhana oder Sādhya in diesem Sinne. Bhakti ist ewig und wird nicht durch irgendeine Kombination von Zutaten erzeugt. Sādhana-Bhakti befähigt den Aspiranten, sodass Bhāva sich manifestieren kann. Bhakti, die sich in Form von inneren Emotionen manifestiert, wird Bhāva-Bhakti genannt. Sobald sie zur Liebe heranreift, wird sie Prema-Bhakti oder Hingabe in Liebe genannt.
Es gibt zwei Arten von Sādhana-Bhakti: Vaidhī und Rāgānuga. Eine hingebungsvolle Aktivität allein durch die Anweisung der Schriften inspiriert, wird als Vaidhī-Bhakti bezeichnet. In diesem Fall gibt es keinen Rāga, keine natürliche spontane Anhaftung.
Es gibt vierundsechzig Angas oder Komponenten von Vaidhī-Bhakti, die von Rūpa Jīva Gosvāmī beschrieben werden. Von diesen werden fünf als besonders kraftvoll angesehen: (1) der Umgang mit Sadhus, (2) das Singen des Namens von Bhagavān, (3) das Hören des Śrīmad Bhāgavatam (4) der Aufenthalt im heiligen Land Mathura und (5) das Dienen der Gottheit mit Respekt und Achtung.
Selbst eine geringe Fühlungnahme mit jedwelcher dieser Komponenten kann zu Bhāva-Bhakti führen. Diese Komponenten der Vaidhī-Bhakti binden den Körper, den Geist und die Sinne in den Dienst Bhagavāns ein und unterstützen wirksam das Auftreten von Bhāva-Bhakti.
Die zweite Art von Sādhana-Bhakti wird Rāgānuga genannt. Man soll der Stimmung und Anhaftung der ewigen Gefährten Krishnas, den Rāgātmikas, beispielhaft folgen. Rāgatmikas haben einen natürlichen Rāga, eine tiefe Anhaftung an Krishna in reiner Liebe. Wenn ein Sādhaka mit Rāgatmikas in Berührung kommt, z. B. indem er von ihnen hört, kann er das Verlangen entwickeln, Krishna in der gleichen Stimmung wie sein Vorbild zu dienen. Wenn diese Sehnsucht einen ungeachtet der Weisungen der Schriften dazu treibt hingebungsvoll zu dienen, nennt man dies Rāgānuga-Sādhana. Rāgānuga entspricht den natürlichen tiefen Empfindungen des Sādhakas und ist daher unabhängig von allen äußeren Regeln.
Vaidhī-Sādhana-Bhakti hingegen hängt von den Weisungen der Schriften ab und wird nicht unbedingt mit liebevollen Gefühlen ausgeführt. Der Unterschied zwischen diesen beiden Praktiken entspricht dem Unterschied zwischen einer Mutter und einem Kindermädchen beim Versorgen eines Babys. Eine Mutter hat eine angeborene Zuneigung zu ihrem Kind und kümmert sich aus ihrer natürlichen Verbundenheit heraus um das Kind, während ein Kindermädchen diese Zuneigung nicht hat. Es befolgt lediglich die Anweisungen ihres Arbeitgebers. Das bedeutet nicht, dass Rāgānuga-Devotees den Anweisungen der Schriften abgeneigt sind. Die Anordnungen sind für diejenigen gedacht, die keine natürliche Neigung zur Hingabe haben. Ein Rāgānuga-Devotee benötigt sie nicht, da er eine natürliche, spontane Neigung hat, sich Bhagavān gegenüber wohlwollend zu verhalten und sich von allen ungünstigen Einflüssen fernzuhalten.
Die reife Phase der Sādhana-Bhakti wird Bhāva-Bhakti genannt. Bhāva ist der Beginn von Prema, der reinen Liebe und vollendeten Stufe von Bhakti. Es ist ein reines inneres Gefühl, das das Herz gegenüber Bhagavān erweicht.
Die dritte und höchste Stufe von Bhakti wird Prema-Bhakti genannt. Sie tritt auf, wenn Bhāva intensiviert und verdichtet wird. Prema führt zu Anhaftung ausschließlich an den Höchsten. Sie kann sich sowohl aus Vaidhī- als auch aus Rāgānuga-Sādhana-Bhakti entwickeln.
Prīti, die hingebungsvolle Liebe zu Bhagavān, ist die höchste Manifestation von Bhakti und wird als das höchste Gut des Lebens betrachtet. In Prīti gibt es absolut keinen Ansatz von Verlangen nach persönlicher Befriedigung. Die Liebe und Hingabe eines Devotees erreicht eine Ebene, auf der er sich selbst völlig vergisst und sich mit seinem geliebten Herrn identifiziert.
Objekte tendieren dazu, sich auf ihre Quelle zuzubewegen, so wie Wasser in Richtung Ozean fließt. Die Flamme einer Kerze richtet sich immer nach oben zur Sonne hin, so wie sich Luft stets zum Himmel hinbewegt. Wirft man jedoch einen Gegenstand in die Luft, kehrt er wieder zur Erde zurück. Er kommt erst zur Ruhe, sobald er seine Quelle, die Erde, erreicht hat.
In ähnlicher Weise kann Bhakti mit einem Fluss verglichen werden, der während der Regenzeit eine intensive Kraft entfaltet sein Ziel zu erreichen. Sobald ein Mensch seine Identität erkannt hat, strebt sein Geist zu Bhagavān hin. Da Bhakti die Svarūpa-Shakti Bhagavāns ist, ist die Seele (Ātmā) von Natur aus dem Höchsten zugeneigt. Bhagavān ist die Quelle aller Lebewesen, daher ist es für sie ganz natürlich, mit Ihm in Einheit verbunden zu sein.