FRAGE:
Wo ich doch etwas Bestimmtes für meine Eltern tun kann, warum können sie nicht dasselbe auch für mich tun? Ich stehe ihnen zur Seite, wenn sie verletzt sind, doch sie stehen mir nicht zur Seite, wenn ich mich verletzt fühle.
ANTWORT:
Die Situation, in der du dich befindest, bietet dir eine wunderbare Gelegenheit zur Selbstreflexion und zum Wachstum. Wachstum ist schmerzhaft und nicht einfach. Die meisten Menschen vermeiden Leid und trachten nach Vergnügen. Wenn du jedoch bereit bist, diesen Schritt zu tun und deinen verletzten Punkt zu betrachten, kannst du erfahren, was der Dichter Rumi sagt: „Eine Wunde ist die Stelle, an der das Licht in dich eindringt.“ Wenn du den Mut aufbringst, über das, was du tust, denkst und was dich selbst verletzt, zu reflektieren, werden dir diese Bemühungen der Introspektion etwas Klarheit und Erleichterung verschaffen. Gibt es einen Grund, warum deine Eltern nicht für dich da sind, wenn du verletzt bist? Es wäre hilfreich zu wissen, warum deine Eltern das, was du für sie tust, nicht in gleicher Weise erwidern. Sie müssen wohl irgendeine Erwartung an dich haben, die du nicht erfüllt hast oder nicht erfüllst. Anstatt darüber nachzudenken, was sie tun, das dich verletzt, versuche herauszufinden, was du tust, das sie verletzen könnte. Überlege auch, welche Gedanken du hast, die dazu beitragen, dass du dich verletzt fühlst. Wenn wir von unserem eigenen Schmerz überwältigt sind und uns abgelehnt, verletzt und isoliert fühlen, bemerken wir manchmal nicht, dass wir denen, die wir lieben, auch Schmerz zufügen. Wir erkennen auch nicht, dass es eigentlich unsere eigenen Gedanken und Gefühle zu einer Situation sind, die den emotionalen Schmerz verursachen, nicht die Situation selbst.
Es ist ganz natürlich, dass du die Liebe deiner Eltern spüren möchtest, während sie dir zur Seite stehen, wenn du verletzt bist. Es muss sich sehr einsam und schmerzhaft anfühlen, wenn sie nicht für dich da sind. Insbesondere deswegen, weil du ihnen eine so gute Tochter warst, indem du für sie da warst, als sie verletzt waren. Es ist völlig verständlich, dass du erwartest, dass sie deine Liebe erwidern. Wahre Liebe ist jedoch anders geartet. Wir haben in der Schule oder von unseren Eltern nie wirklich etwas über wahre Liebe gelernt. Wenn es eine Schule „Institut der wahren Liebe“ gäbe, wären dies einige der Lektionen: Wahre Liebe ist nicht berechnend und hat keine Erwartungen. In wahrer Liebe liebt man einfach der Liebe wegen, so wie die Rose ihren Duft an jeden Vorbeigehenden großzügig verteilt. Selbst wenn jemand ihre Blütenblätter zerreißt, ihr keine Beachtung schenkt oder auf sie spuckt, verströmt die Rose ihren schönen Duft an alle. Sie erwartet keine Gegenleistung. In dieser Art von Liebe haben Zweifel, Angst, Schmerz und Sorgen keinen Platz. Die Rose ist sehr glücklich, einfach weil sie gibt, nicht weil sie empfängt. So ist es auch bei wahrer Liebe: Die größte Freude besteht in der Zufriedenheit des Gegenübers, nicht darin, beglückt zu werden. Du kannst deine Situation folgendermaßen betrachten: Es ist deine Pflicht deinen Eltern gegenüber freundlich, liebevoll und respektvoll zu sein, auf dieselbe Weise wie Kṛṣṇa Arjuna in der Bhagavad Gita anweist, seine Pflichten zu erfüllen und nicht an das Ergebnis angehaftet zu sein. Unabhängig davon, ob deine Eltern dich schätzen, kritisieren oder das, was du für sie tust nicht erwidern, erfüllst du einfach deine Pflichten und bleibst dabei ausgeglichen. Du kannst üben, wie die schöne Rose zu sein. Du kannst deinen Eltern deine Liebe großzügig geben und nichts im Gegenzug erwarten. Deine Eltern geben dir eine besondere Gelegenheit, dich in der Kunst der wahren Liebe zu üben. Es liegt bei dir, dich darauf einzulassen.
PRAKTISCHE ÜBUNG: