FRAGE:
Mein Großvater hat ein langes Leben gelebt, es fällt ihm jedoch schwer, seinen Körper aufzugeben. Er ist voller Angst. Ich versuche, ihn zu beruhigen, indem ich mit ihm rede und ihm vorlese. Ich habe ihm meine Gedanken über das Ego, Puruṣa und Prakṛti mitgeteilt. Er nähert sich seinem Lebensende und hat starke Schmerzen, kann aber nicht loslassen. Vor ein paar Tagen hat er mir gesagt, dass er nicht gehen will. Hast du vielleicht einen helfenden Rat für mich? Vielleicht ein Mantra, ein Gebet oder eine Lektüre? Meine Großmutter ist vor drei Jahren sehr würdevoll und friedlich verstorben. Sie hat ohne Schwierigkeiten losgelassen. Bei meinem Großvater verhält es sich genau gegenteilig. Er hatte mir in der Vergangenheit gesagt, dass er an die Wiedergeburt glaubt. Seine Anhaftung an diese materielle Welt ist jedoch stark.
ANTWORT:
Ist jemand, den wir lieben im Begriff zu sterben, so ist das Loslassen für uns schmerzhaft. Für den Sterbenden hingegen ist es schmerzhaft, uns und alle anderen geliebten Menschen loszulassen.
Oft ist es zu schmerzhaft für uns, einen geliebten Menschen sterben zu sehen. Wir wollen, dass er sich beeilt und seinen Körper verlässt, weil wir nicht mit ansehen können, wie ein geliebter Mensch, unter Schmerzen leidet. Es ist jedoch wichtig, dass wir seine Erfahrung würdigen. Der Körper verfügt über eigene Intelligenz, die über unser Vorstellungsvermögen über den Ablauf des Sterbeprozesses und unsere Erwartungen hinausgeht, während wir uns von unserem emotionalen Geist leiten lassen. Da der Sterbeprozess deines Großvaters für dich zu langsam verläuft, solltest du dich fragen, warum du es damit eilig hast. Er selbst sagte, er sei nicht bereit zu gehen. Wer will also, dass er schneller stirbt, du oder er? Bist du es, da du den Schmerz nicht ertragen kannst? Wäre er derjenige, so wäre er bereits gestorben. Wie du schon sagtest, der Sterbeprozess eines jeden Menschen ist einzigartig – so einzigartig wie das Leben jedes Einzelnen. Deine Großmutter ist friedlicher verstorben, sagst du. Versuche nicht, deinen Großvater mit ihr zu vergleichen. Erkenne stattdessen seinen Sterbeprozess als das an, was er ist. Das Beste, das du tun kannst, ist, ihn in seinem Sterbeprozess zu begleiten. Versuche nicht, den Vorgang in irgendeiner Weise zu beschleunigen. Dies ist eine gute Achtsamkeitsübung. Achte einfach auf deine Gedanken, während du bei ihm sitzt. Beobachte deinen Atem. Sei bei dir selbst. Sei bei ihm. Es gibt nichts anderes zu tun, als zu sein. Die Liebe ist ausschließlich an diesem Ort zugegen, im gegenwärtigen Augenblick. Die meisten Menschen sind nicht wirklich in der Lage, ihre Angehörigen auf diese Weise in ihrem Sterbeprozess zu begleiten. Es ist jedoch eine der besten Meditationen für das Herz. Du siehst all deine Erwartungen, all deine Anhaftungen, all deine Erinnerungen an die Vergangenheit mit dieser Person und deine Ängste vor einer Zukunft ohne sie. Lass all dies los. Vergiss auch dein theoretisches Verständnis des Ahaṃkāra, des Geistes und so weiter. Bleib einfach bei seinem und bei deinem Atem. Ein Sterbender lässt ebenfalls los, sobald man selbst losgelassen hat. Sag ihm daher, dass du ihn liebst und dass es dir gut gehen wird, wenn er geht. Dies ist wichtig. Sag ihm, dass es in Ordnung ist, wenn er geht, sobald er dazu bereit ist. Frage ihn auch, ob es jemanden gibt, von dem er sich noch nicht verabschieden konnte. Manchmal können Sterbende nicht loslassen, da sie sich noch von einem geliebten Menschen verabschieden wollen, zu dem sie entweder den Kontakt verloren oder ein schlechtes Verhältnis haben. Finde heraus, wie es sich bei deinem Großvater verhält. Solltest du ihn dabei unterstützen können, sich von einer solchen Person zu verabschieden, wird ihm das beim Loslassen helfen.
Wünschst du aber immer noch ein Gespräch über Leben und Tod mit ihm zu führen, kannst du ihm diese Fragen stellen: Wer ist es, der sterben wird? Du oder der Körper? Ist es nur der Körper, brauchst du keine Angst zu haben, denn „du“ wirst überleben. Bist „du“ es, gibt es auch nichts zu befürchten, weil du nicht wissen wirst, dass du gestorben bist. Frage ihn nach der Ursache seiner Angst und analysiere sie dann.
Angst entsteht durch Anhaftung. In dieser materiellen Welt sind wir von allem, was uns umgibt, getrennt, außer von uns selbst. Wir sind uns dessen jedoch nicht bewusst, da wir unser Selbst nicht kennen. Du kannst versuchen, deinem Großvater zu helfen, dies zu erkennen. Es ist jedoch sehr schwierig, mit einem sterbenden Menschen zu sprechen, da er sich nicht in einem normalen Geisteszustand befindet. Dies sind Lektionen, die es zu lernen gilt, während man gesund und der Geist intakt ist. In gewisser Weise kannst du also deinem Großvater dafür danken, dass er dir geholfen hat, diese Lektionen zu lernen und sie auf dich selbst zu beziehen. Sobald du die genannten Punkte erkannt hast, wirst du mit dem Ableben deiner Angehörigen keine Schwierigkeiten mehr haben. Du wirst in deinem Selbst ruhen, die Glückseligkeit deines Selbst erfahren und den Prozess des Ablegens des Körpers anderer ehren, ohne zu versuchen, diesen in irgendeiner Weise zu verändern. Du wirst auch erkennen, dass die Natur Teil derer du bist, ihre eigene Vollkommenheit hat. Du wirst ihre Vorgänge akzeptieren und ihnen gestatten, sich zu ihrer eigenen Zeit und auf ihre eigene Weise zu entfalten.
PRAKTISCHE ÜBUNG:
Hier ist eine unterstützende Methode, den Sterbeprozess deines Großvaters bewusst mitzuerleben.